Ein Spielplatz in Rekordzeit
„Niemals!” Das ist der erste Gedanke, den Sarah und Sophia haben, als sie mit weiteren 27 Neuntklässlern des Zabergäu-Gymnasiums auf der grünen Wiese hinterm Kindergarten in Brackenheims ungarischer Partnerstadt Tarnalelesz stehen. Und auch Bürgermeister a.D. Rolf Kieser, der mit den Schülern und den Begleitlehrern Andrea Spechtenhauser und Jürgen Reif mitgekommen ist, kann sich noch nicht vorstellen, dass hier innerhalb einer Woche aus den vielen Robinienstämmen und -latten ein Spielplatz entstehen soll.
Seit Jahren absolvieren alle Schüler der 9. Klassen ein einwöchiges Sozialpraktikum. In diesem Jahr bietet sich die Gelegenheit dazu im rund 1100 Kilometer entfernten Tarnalelesz, wofür Schüler und Lehrer einiges in Kauf nehmen: eine lange Fahrt mit Übernachtung in Bratislava auf der Hin- und Rückreise, eine gemeinsame Unterbringung in der Turnhalle auf Matratzen und wenige sanitäre Anlagen.
Viele Monate haben sich die Jungen und Mädchen auf ihre nicht alltägliche Arbeit vorbereitet, haben jede Gelegenheit genutzt, um Geld zu sammeln, zu verdienen, ob durch Kuchenverkauf oder Spendenlauf. Mit einem sehr großzügigen Betrag unterstützt auch der Lions-Club Güglingen-Zabergäu das Projekt.
Angeleitet werden sie von den vier sympathischen, stets zuversichtlichen und motivierenden Mitarbeitern Lena, Clemens, David und Johannes von KuKuk Kultur e.V., einer Organisation, die weltweit Spielplätze an Orten anlegt, wo Kinder „in benachteiligten Lebensräumen und Situationen aufwachsen”, wie es in ihrer Broschüre heißt.
Sie lassen gar keinen Zweifel an der Umsetzung des Plans aufkommen, weisen mit wenigen Worten in die Arbeit ein und verteilen jede Menge mitgebrachte Werkzeuge: Bohrer, Erdbohrer, Schaufeln, Spitzhacken, Schubkarren, Sägen - und vertrauen darauf, dass die Schüler ihre Pläne des ersten Abends weitgehend selbstständig ausführen. Und innerhalb kürzester Zeit entwickeln Jungen wie Mädchen ungeahnte Fähigkeiten, hantieren mit den Werkzeugen, als hätten sie seit Jahren nichts anderes getan. „Es geht besser, als ich dachte”, ist ein Kommentar, den man häufig hört. Und das betrifft nicht nur die Arbeit auf der grünen Wiese. Auch die gemeinsamen Nächte in der Turnhalle erweisen sich als überraschend problemlos. Die Duschzeiten regelt man untereinander - und es klappt!
Rolf Kieser und Busfahrer Matthias Musch, ein Ingenieur, der sich im Rentenalter seinen Traum vom eigenen Bus erfüllt hat, mit dem er immer wieder als Fahrer von KuKuk durch Europa reist, helfen beim Aufbau des Spielplatzes kräftig mit. „Es ist nie zu spät, etwas zu lernen”, stellt Brackenheims ehemaliges Stadtoberhaupt und Freund des ungarischen Bürgermeisters Béla Kovács begeistert fest.
Seit 2010 ist Tarnalelesz mit Brackenheim partnerschaftlich verbunden. Ein Städtchen, umgeben von wunderschöner Landschaft, 30 Kilometer von Eger entfernt. Von den rund 1800 Einwohnern gehören viele zur Volksgruppe der „Cigány”. Für die Schüler – sie sind schnell eine kleine Sensation im Ort - eine neue Erfahrung, der sie mit großer Offenheit begegnen und sich mit den Jugendlichen, so gut es geht, auf Englisch unterhalten. Ein wichtiges ungarisches Wort, das sie schnell lernen, ist „köszönöm”, „danke“, wofür es täglich viele Gründe gibt.
Frühstück, Mittag- und Abendessen finden in einer städtischen Halle mit großer Küche statt, wo auch etwa 230 ungarische Schüler ihr Mittagessen erhalten. Manches mag für die Brackenheimer gewöhnungsbedürftig sein. Lecker ist die ungarische Hausmannskost, von einem freundlichen Küchenteam täglich frisch zubereitet, allemal.
Schon nach zwei Tagen ist die Wiese nicht wiederzuerkennen. Die Mitarbeiter von KuKuk sind begeistert von den Fortschritten und sparen nicht an Lob. „Die Schüler steigen total ein”, stellt Johannes beeindruckt fest.
Am vierten Tag gehen die Arbeiten ihrem Ende entgegen - und die Spielgeräte werden natürlich von allen auch selbst ausgiebig ausprobiert. Am Abend zuvor haben die Schüler noch ein Farbkonzept erarbeitet: sparsam, nur Grundfarben, kleine Highlights. Die i-Tüpfelchen auf dem hellen Holz.
Zeit für einen Musikabend mit einer jungen Band und einer Handvoll Tänzerinnen, die für tolle Stimmung mit Ungarn-Pop sorgen.
Ein Ausflug führt die Gruppe ins malerische Eger, ins Tal der Schönen Frau und auf die Burg Sirok, und auf der Heimfahrt geht es noch nach Budapest und in ein Heimatmuseum nach Budaörs, woher viele Ungarndeutsche im Zabergäu kommen.
Die Gruppe hat viel gelernt in den Tagen, nicht nur den Umgang mit Akkubohrer oder Stichsäge. Sie haben ein anderes Europa mit anderen Menschen kennengelernt, von Vertreibung und Flucht gehört. Und sie haben als Gruppe in Rekordzeit dem Städtchen einen attraktiven Spielplatz errichtet.
Als am Ende der Arbeit die Anlage, die in einer kleinen Feier eingeweiht wird, aufgeräumt ist, erleben Sarah und Sophia - und nicht nur sie - einen Wow-Effekt. Beide haben erfahren, was man im Team erreichen kann. Sie freuen sich, dass die Schüler so schnell zueinander gefunden haben. Und sie sind dankbar, dass sie den Menschen etwas Gutes geben können und deren Freude und Dankbarkeit erlebt haben.
Vom Bürgermeister beschenkt mit Souvenirs und versorgt mit Verpflegung geht es zurück.
Dieses Projekt wird in ihrer Schulzeit wohl einmalig bleiben, aber alle Schüler wären wohl sofort dabei, wenn sich die Gelegenheit erneut böte. elk
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